Taxi! Taxi!
Nach Marokko und Kuwait geht es jetzt in den Libanon, nach Beirut. Im Libanon gibt es immer wieder gewalttätige Auseinandersetzungen, Anschläge, und einen Präsidenten haben sie auch nicht. Stoff für jede Menge Geschichten und Mythen.
Da ist zum Beispiel die Geschichte von dem einen, der für ein paar Tage beruflich nach Beirut flog. Abends gab es laute Geräusche, und er schaute eine Weile aus dem Fenster, um dem auf den Grund zu gehen. Als er am Morgen seine Kollegin fragte, ob sie auch das Feuerwerk gesehen hätte, schaute sie ihn absolut entgeistert an. Sie habe die Nacht vor Angst schlotternd in der Badewanne verbracht aus Angst, dass etwas passieren könnte. Das Feuerwerk stellte sich als veritabler Raketenangriff heraus.
Zeit für die eigene Geschichte. Wir kommen ganz unspektakulär am Flughafen an und werden direkt zum Zoll gelotst, wo wir nichtstuend warten müssen. Nachdem unser lokaler Guide aufgetaucht ist und ein Weilchen mit den Zöllnern schwatzt, Zigaretten raucht und Papier um Papier hervorzieht, dürfen wir weiter. Die Koffer und deren Inhalt will niemand sehen. Wie später alle Kontrollen durch Polizei etc. ist das im Handumdrehen erledigt. Wir werden angehalten, er erzählt Sachen, plötzlich sind alle freundlich und lassen uns ziehen. Als mal eine Kolonne mit einem abenteuerlichen blaulichtenden Führungsfahrzeug vorbeizieht, fragen wir ihn, was es damit auf sich habe. “Maybe someone working for someone”. Das fasst wohl ziemlich gut zusammen, was hinter all dem stecken mag.
Draussen ist Chaos, und jeder zweite fragt: “Taxi? Taxi?” Wir nicht, denn wir haben einen Wagen. Mit dem wir dann losfahren und direkt im Stau stehen, was uns hilft, denn keiner kennt den Weg. Das eingebaute Navigationssystem weiss nicht, wo es ist, und keiner hat Datenroaming freigeschaltet. Das kann ja lustig werden. Auf die Idee, unseren Guide anzurufen, kommt niemand. Wir finden es trotzdem, und haben uns gar nicht mal so viel verfahren.
Das Hotel ist in der Altstadt von Beirut. Das heißt, von hier ist alles 40 Minuten länger, denn solange braucht man, um hinein oder heraus zu kommen. Absoluter Verkehrsinfarkt, und Schilder und Ampeln haben eine eher vorschlagende Funktion. Dafür wird man an jeder Ecke gefragt, ob man ein “Taxi? Taxi?” braucht. Beim Reingehen ins Hotel schon abgelehnt, kommt derselbe Fahrer beim Rauskommen wieder an und fragt. Die Taxis sind meistens gute alte W123, die ihre besten Jahre schon lange hinter sich hatten, als sie aus Deutschland hierher kamen. Seitdem werden sie notdürftig am Leben gehalten mit allem, was gerade so da ist. Hin und wieder stehen ein paar ausgebeinte am Straßenrand. Die marokkanischen haben da einen wesentlich fitteren Eindruck gemacht. Aber dafür sieht man hier auch noch Seltenheiten wie D-Kadett Kombi oder B- und C-Ascona.
Wenn man den Blick von der Straße – oder den teilweise fragmentierten Gehwegen – löst, fallen immer wieder Häuser auf, die aussehen, als wären sie nicht fertig geworden. Wenn man dann noch mal hinschaut, sieht man Einschusslöcher oder fehlende Teile der oberen Fassaden. Dort, wo die Rakete eingeschlagen ist. Relativ dicht am Zentrum steht auch das alte Kino, auf das in den sechziger Jahren ein Bombenattentat verübt wurde. Seitdem hat es niemand mehr angefasst, obwohl es hin und wieder Pläne zum Wiederaufbau gibt. Andererseits stehen hier die Moscheen und die Kirchen teilweise direkt nebeneinander, und die Menschen sitzen davor und schwatzen. An der Tankstelle gibt es Dosenbier zu kaufen (“Weidmann”, der Kenner schnalzt hier mit der Zunge und greift zum Oettinger oder Paderborner), das ist nach fünf Monaten Middle East schon ein Kuriosum.
Am zweiten Tag geht es raus aufs Land und in die Berge, und selbst im Winter sieht die Gegend im Libanon erstaunlich aus. Mediterran. Was ja jetzt kein Wunder ist. In der Ferne die schneebegipfelten Berge von Mzaar-Kfardebian, und wir ändern den Drehplan. Zwei Leute aus der Crew haben noch nie Schnee gesehen, also ab in die Berge, mit entsprechenden Temperaturen. Auf dem Weg dahin (und einer zehn Kilometer langen Abzweigung in eine ruhige Seitenstraße) werden wir unter anderem von der Armee angehalten, aber wir haben ja unseren Guide. Ich kriege den Wunsch, im Libanon zu urlauben, und der schneeunerfahrene Teil der Crew nasse Füße.
Das Libanesische Pfund, die lokale Währung, habe ich nicht benutzt. Ein Dollar sind ca. 1500 Pfund, und demzufolge wundert es nicht, dass es 100.000-Pfund-Noten gibt. Wir alle zahlen in Dollar, das lässt sich leichter vorstellen – und ist eigentlich überall möglich, das ist de facto eine Zweitwährung.
Aus den Bergen zurück in der Stadt werden wir Zeuge, wie eine mittelalte Frau, die schon die restlichen Tage an dieser Stelle eine Horde bettelnder Kinder beaufsichtigte, einen übergewichtigen Zwölfjährigen, der fast einen Kopf größer ist als sie am Schlawittchen gegen den Laternenmast hält und ihm sagt: “Deine Mutter scheint nicht zu wissen, wer ich bin.” Die bettelnden Kinder sind wirklich sehr aufdringlich, und man will sie nicht abwimmeln – es sind doch noch Kinder. Leider sind sie auch ausgekochte Profis, die zudem unter Druck stehen, am Abend auch ordentlich abliefern zu müssen.
Wie uns erzählt wird, ist es “seit Syrien” schlimmer geworden – in dem Ausmaß gab es das vorher nicht. Wobei das nicht wundert, wenn ein kleines, wirtschaftlich relativ schwaches und politisch uneiniges Land wie der Libanon plötzlich die Hälfte der eigenen Bevölkerung an syrischen Flüchtlingen aufnimmt.
Abends gehen wir noch ein bisschen durch die Straßen und das erste Mal kommt so ein komisches Gefühl auf. Ich sehe Bier auf der Speisekarte und frage den Kellner, ob ich das auch draußen (direkt neben der Straße) trinken darf. Er schaut mich an als ob ich von wo ganz anders herkäme und meint nur “selbstverständlich”. Ein halbes Jahr in den Emiraten und schon konditioniert… Nun geht’s aber erst mal nach Deutschland. Schnee habe ich ja jetzt geübt.